Zu Jennifer Bleek: Blick und Welt – eine “Drittel-Rezension”
Willi Schedlmayer | 6. Juli 2011Mit einer gleichnamigen Arbeit Blick und Welt hat Jennifer Bleek 2007 promoviert. Hier zunächst einmal das Zitat der Buchveröffentlichung:
Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, ISBN: 978-3-7705-4788-3
Das Buch ist in drei Teile gegliedert – der erste Teil setzt sich mit dem Spielfilmdebüt von Malick auseinander (Badlands), der zweite Teil mit seinem nächsten Film (Days of Heaven) und der dritte Teil bringt beide Filme mit der „Philosophie von Martin Heidegger“ zusammen.
Ich beschränke mich in meiner Auseinandersetzung auf den ersten Teil des Buches (was mit meiner eigenen Beschäftigung mit Badlands zu tun hat) und nenne diesen Versuch darum eine „Drittel-Rezension“.
Ausführlicher habe ich mich mit den einzelnen Kapiteln an anderer Stelle beschäftigt (siehe dieser Link) – hier nun mein Résumé.
Die Arbeit von Bleek hat so viele Schwächen, dass nicht nur sie als Autorin, sondern auch die akademische Institution, unter deren Aufsicht das Werk entstanden ist, zu kritisieren wären – gleiches gilt für den Verlag, der kein nennenswertes Lektorat geleistet hat. Aber was solls – solche Sachen sehen wir doch überall! Wie wäre es, wenn wir umgekehrt versuchten, das Ganze als gelungenen Spaß zu lesen, als Finte, als Parodie auf den Wissenschaftsbetrieb?
Tatsächlich ist die Form einer Parodie im ersten Teil der Arbeit unübersehbar – und nur um diesen Teil geht es mir ja. Einigermaßen durchgängig nennen die Kapitelüberschriften ein klares Programm, einen strukturalen Ansatz oder gar einen theoretischen (oder sie häufen einfach Begriffe) – was dann kommt, ist jedoch vor allem eine Art Nacherzählung einzelner Episoden. Damit soll gegen diese selbst nichts gesagt sein, in ihr leistet Bleek nämlich ihr Bestes. Sie scheitert gedanklich (gar „theoretisch“) fortwährend – in der genauen Beschreibung einzelner Bildsequenzen ist sie dennoch lesenswert. (Oder hätten wir damit nur wieder die Parodie ernst genommen?)
Sehen wir uns einmal die einzelnen Kapitel an. Zunächst geht es um das Verhältnis von Badlands zu seiner „realen Vorlage“, nämlich der Geschichte des mehrfachen Mörders Charles Starkweather, der Ende der 50er Jahre gemeinsam mit seiner minderjährigen Freundin Caril Ann Fugate für einige Wochen die US-Amerikanischen Medien beschäftigt hat. Einmal nennt Bleek die New York Times (jedoch ohne Datumsangabe) – sonst bleiben ihre Quellen im Dunkeln. Die „reale“ Geschichte ist anscheinend beliebig verfügbar und genauso beliebig zu verkürzen und umzuformen. Wenn Bleek etwa schreibt: „In einer Villa in Lincoln kamen drei weitere Menschen zu Tode“ – dann drückt sie sich hier auch um die Frage, wer die Morde begangen hat. Tatsächlich hat Starkweather später seine Freundin beschuldigt, selbst mehrfach auf die Opfer eingestochen zu haben (und wenn ich hier einfach auf den englischen Wikipedia-Artikel zu Starkweather verweise, ist das schon mehr an Quellenangabe, als Bleek zustande bringt). Dass und in welcher Weise auch Fugate an diesen Morden beteiligt war, wird in Blick und Welt ausgespart – wie überhaupt die „reale Vorlage“ auf die Geschichte des männlichen Mörders reduziert wird. Man könnte zeigen, wie Malick mit der Geschichte von Starkweather & Fugate spielerisch umgeht, Details herausgreift und an ganz anderer Stelle der Chronologie wieder einsetzt – vor allem aber, wie Stoff für seine Geschichte nicht nur aus der realen Vorlage, sondern ebenso aus verschiedenen Filmen und der Literatur kommt. Dass etwa viele Details in Badlands auf den Film Rebel without a cause verweisen, wird bei Bleek schlicht übersehen. Sie beginnt das Kapitel mit einer „Inhaltsangabe“, die naiver Unsinn ist – und stellt am Schluss fest, dass in Badlands die „sozialen Verhältnisse“ nicht zum Thema werden (was so einfach falsch ist). Dazwischen widmet sie sich ausführlich der Exposition des Films – dabei macht sie durchaus genaue Beobachtungen, verliert sich aber auch in nebulosen Begriffen (verträumte Mädchenwelt, Liebes- und Todesahnung), die wenig mit dem Film zu tun haben.
Das zweite Kapitel handelt von der Genrezugehörigkeit des Films Badlands und vergleicht ihn mit anderen Filmen eines „Subgenres“ zum Gangsterfilm, dem „Paar auf der Flucht“. Klassiker wie die Filme You Only Live Once von Fritz Lang, They Live by Night von Nicolas Ray und Gun Crazy von Joseph H. Lewis werden dabei als „amerikanisches Illusionskino“ kleingemacht, um den Film von Malick dann davon abzuheben. Obwohl Bleek genau weiß, das Malick Bonnie and Clyde gekannt hat, übersieht sie, dass er in Badlands eine zentrale Stelle des Films von Arthur Penn direkt zitiert. Mir unverständlich ist auch, warum Bleek in diesem Zusammenhang nicht auch die Filme mit einbezieht, die sich in den 90er-Jahren mehr oder weniger direkt auf Badlands beziehen (True Romance und Natural Born Killers) oder das gleiche Genre fortschreiben (Wild at Heart).
Das dritte Kapitel handelt von Bild und Ton in Badlands. Bleek zitiert zwar interessante Literatur, kann aber mit den dort gefundenen Begriffen nicht wirklich umgehen. So bringt sie den Terminus der Diegese herein und beschäftigt sich ausführlich mit der (nicht diegetischen) Musik in Badlands, ohne zu berücksichtigen, dass es auch diegetisch legitimierte Musik in diesem Film gibt (wenn die Figuren zu Radiomusik tanzen). Intensiv setzt sie sich mit einzelnen Sequenzen auseinander – dennoch bleibt der Eindruck, dass sie wichtige Zusammenhänge einfach nicht begreift.
Das vierte Kapitel verspricht gar eine „Theorie des Tons“ in Badlands. Tatsächlich wird aber wieder vor allem eine Episode im Film beschrieben.
Im fünften Kapitel geht es um Landschaft – und christliche Ikonografie. Naturgemäß zusammengebracht wird beides in den „Bildern des Himmels“. Zur Landschaftsdarstellung bei Malick gibt es ja durchaus Literatur – Bleek scheint sie nicht zu kennen. Der Verweis auf christliche Bildmotive macht ihre Interpretation des Films nicht überzeugender – es ist ein schwaches Kapitel.
Im letzten Kapitel verblüfft uns die Autorin mit einem (nicht ausgewiesenen) Handkezitat: Das Gewicht der Welt. Oder ist es vielleicht gar nicht Handke, auf den sie sich kryptisch bezieht? Es gilt wie immer die Parodie-Vermutung. Sie beschreibt jedenfalls vor allem die letzte Episode des Films – nun erwarten wir ja auch nichts anderes mehr. Und siehe: es wird alles gut. Sie findet in einen parataktischen Stil hinein, der wunderbar ist – einfach und gut. Die reine Anschauung! Ein paar gedankliche Fehltritte vermögen dem nichts mehr anzuhaben.
Ich meine es gar nicht ironisch: in der genauen Bildbetrachtung gibt es eine Art Progression in der Arbeit von Bleek – von der völlig unzulänglichen „Inhaltsangabe“ zu Beginn über ein Herantasten an ein Nacherzählen bis zu den Parataxen des Schlusskapitels, in dem sie eine gelassene Distanz der Anschauung hält. Damit ist es in einer wissenschaftlichen Arbeit aber naturgemäß noch nicht getan. Was jedoch den reflexiven Teil der Dissertation betrifft, ist von einer Verbesserung im Textverlauf leider keine Rede.
Bleek versucht ja, etwas auf den Punkt zu bringen – in Kontingenz und Konvention etwa. Nur stimmt es dann hinten und vorne nicht. Tatsächlich wird Kontingenz zum Thema in Badlands – aber wenn dann eine „Ahnung von Kontingenz“ (Blick und Welt, p. 64) hereinkommt, verschwimmt schon wieder alles. Die „Ahnung“ erweist sich überhaupt als verhängnisvoller Begriff – Liebes- und Todesahnung, Ahnung von Kontingenz: der begriffliche Weichzeichner bringt allemal eine gedankliche Unschärfe herein. Die Konvention gar muss für alles herhalten – bis hin zur Umschreibung von Motiv als „narrativer Konvention“ (Blick und Welt, p. 36). Der Weichzeichner wird auch im Blick auf die Protagonistin eingesetzt – mädchenhafte Mädchenwelt und das Mädchen als Erzählerin. Dabei ist es eine verheiratete Frau, die erzählt! Viele Formulierungen wirken merkwürdig deplatziert (Vorschein des Göttlichen im Endlichen, Blick und Welt, p. 68) oder sind als Bild schief (Zwischenraum zwischen Kontingenz und Spur, Blick und Welt, p. 77). Noch ein Zitat:
Das Gewicht der Welt und die sie durchdringende Kontingenz werden wahrnehmbar durch das Ende der männlichen Figur. Es geht um das Schicksal von Kit; es geht um die Frage, wo die Instanz ist, die dieses Leben so zu Ende gebracht hat. Die Staatsmacht beantwortet nicht die Frage, wer eigentlich das Schicksal der Figuren lenkt. Und auch eine göttliche lenkende Macht ist nicht erkennbar. Kit erscheint als jemand, der der Welt abhanden gekommen ist, ohne dass es dafür eine Erklärung gäbe. (Blick und Welt, p. 79)
Diese Massierung von Phrase, Worthülsen und Unsinn ist schwer erträglich für mich. Wo nimmt Bleek denn auf einmal diese Frage nach dem „Schicksal“ des männlichen Protagonisten (Kit) her? Wieso ist es so rätselhaft, dass er, der zum Tode verurteilt wird, der Welt abhanden kommt? Ein Serienmörder stellt sich, wird verurteilt und hingerichtet – das ist kein unerklärlicher Zusammenhang.
Bleibt die Frage für mich, für wen die Lektüre von Blick und Welt ein Gewinn sein könnte. Wer Englisch lesen kann, wird in der amerikanischen Literatur zu Malick Texte auf ganz anderem Niveau finden. Wer die ausführliche Beschreibung vieler Bildsequenzen in Deutsch sucht, wird bei Bleek fündig – wissenschaftliche Ansprüche stellt man besser vor der Lektüre beiseite.
Hier zu meinen Lektürenotizen zu Blick und Welt: