Bleek, Kapitel I
Willi Schedlmayer | 7. Mai 2011Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
Wie sich im Spannungsverhältnis zwischen Kontingenzbewusstsein auf der einen und Bindung an Konventionen auf der anderen Seite so etwas wie eine ästhetische Subjektivität in diesem Film konstituiert, darum kreisen die folgenden Überlegungen. (Blick und Welt, p. 13)
Wäre das Kontingenzbewusstsein Malick zuzuordnen – oder seinen Figuren? Über wessen ästhetische Subjektivität schließlich kann mit Fug geredet werden? Ich werde darauf noch einmal zurückkommen – im Vergleich zu Arthur Penns Bonny and Clyde meint Bleek hier jedenfalls abschließend:
in Malicks Film sind die Konventionen stärker als die Sehnsüchte und der Freiheitsdrang der Figuren. (Blick und Welt, p. 14)
Ich bin mir da nicht so sicher, finde es aber jedenfalls beachtlich, wie hier jemand Sätze formuliert, deren Gegenteil zumindest einer Überlegung wert ist.
Nebenbei gesagt, Bleeks stilistische Marotte, mit “zwar” einen Satz aufzubauen .. und die Einschränkung kommt dann erst im nächsten Satz (.. zwar .. Punkt. Aber ..) finde ich nervig.
I. Reale Vorlage und Filmische Umsetzung (p. 15-24)
Bleek beginnt dieses erste Kapitel mit einer „Inhaltsangebe von Badlands“. Wie naiv dieser Ansatz ist, zeigt sich sehr schnell:
Als sich der Vater des Mädchens, der für seine Tochter auf Höheres hinauswill, gegen die Beziehung stellt, schießt Kit ihn nieder und flüchtet mit Holly. (p. 15)
Das ist so als „Inhalt“ schlicht falsch. Zwar stellt sich der Vater gegen die Beziehung, Kit erschießt ihn aber nicht einfach deshalb. Kit dringt ja in das Haus ein, wo Holly mit ihrem Vater wohnt und packt einen Koffer mit Sachen des Mädchens (man ahnt, dass er mit ihr davon will). Dabei wird er dann vom Vater überrascht, der sich auch vom Revolver des jungen Mannes nicht beeindrucken lässt. Er will ihn vielmehr dem Gesetz („the authorities“) überantworten und lässt sich auch durch einen Warnschuss nicht aufhalten. Da erschießt ihn Kit mit zwei Schüssen.
Die Situation, in der dieser Mord passiert, ist freilich noch um einiges komplizierter, es ist eine der Schlüsselszenen für den ganzen Film – hier muss es genügen, darauf hinzuweisen, dass in dieser Verkürzung auf einen „Inhalt“ und in dieser syntaktischen Darstellung (als der Vater .. schießt Kit ihn nieder) eine Verfälschung vorgenommen wird.
Ähnliches ließe sich auch an den nächsten Sätzen dieser „Inhaltsangabe“ zeigen:
Das junge Paar lebt tagelang in de Wildnis, flieht quer durch Dakota in die wüsten Badlands im Grenzgebiet des Staates Montana und legt zunächst alle Vefolger um. Erst als diese übermächtig werden, gibt Holly auf, und nach einer Verfolgungsjagd lässt sich auch Kit festnehmen. (p. 15)
Es ist nicht das Paar, das alle umlegt, es ist Kit, der schießt – zuerst auf Kopfgeldjäger (das sind wirklich drei Verfolger, die erschossen werden), dann aber auf seinen ehemaligen Arbeitskollegen (den er in den Rücken schießt – weil er in Richtung seines Autos geht? Weil er die Polizei holen könnte?) Und gleich danach auf zwei junge Leute, die ihm vielleicht als Zeugen lästig werden könnten – es bleibt vage. Die Verfolger jedenfalls sind bald Legion (Polizei, Nationalgarde, Privatdetektive) – und werden keineswegs umgelegt, vielmehr flüchtet das Paar im Weiteren in Richtung „Badlands“. Holly gibt nicht auf, weil die Verfolger übermächtig sind, sondern weil sie nicht mehr mit Kit weiter flüchten will („I just don’t want to go“, sagt sie zu ihm).
Eine „Inhaltsangabe“, in der kaum ein Satz nicht am Film vorbei geht.
1. Reale Vorlage
Obwohl im Nachspann des Films von Malick darauf hingewiesen wird, dass alle Figuren fiktiv sind, sind die Parallelen zum Mehrfachmörder Starkweather und seiner minderjährigen Freundin Caril Ann Fugate unübersehbar.
Methodisch untadelig nimmt Bleek sich vor:
Um festzustellen, welche künstlerischen Entscheidungen Malick bei der filmischen Umsetzung des Stoffes getroffen hat, ist es notwendig, sich die reale Vorlage zunächst genauer anzusehen. (p. 15)
Eigenartig, dass ein kleiner Blick in Wikipedia genügt, um ein Detail in der “realen” Geschichte zum Vorschein zu bringen, das in “Blick und Welt” übersehen wird. Im Artikel zu Starkweather heißt es:
Am 28. Januar 1958 ging er zum Haus seiner Freundin Caril Ann Fugate (* 1944) und begann einen Streit mit ihren Eltern. Daraufhin erschoss er die beiden und erwürgte Caril Anns zwei Jahre alte Schwester. Caril Ann saß derweil tatenlos vor dem Fernseher.
Starkweather versteckte die Leichen an verschiedenen Stellen außerhalb des Hauses. Caril Ann und er blieben zwei weitere Tage im Haus und schickten Besucher unter dem Vorwand weg, dass alle die Grippe hätten. Caril Anns Großmutter aber schöpfte Verdacht und rief die Polizei. (http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Starkweather)
Es ist zumindest nicht uninteressant, dass im Film an anderer Stelle dieses Motiv der vorgetäuschten Grippe wieder auftaucht (als Kit einen Besucher, der zum “reichen Mann” will, abwehrt). Man könnte zeigen, wie Malick im Film mit “realen” Motiven “spielt”. Aber ein bissl “genauer” muss man halt hinsehen dafür.
Bleek versucht, die “reale Vorlage” kurz zu umreißen. Wie dürfen wir es aber verstehen, wenn sie mehrfach hervorhebt, dass in Bezug auf Starkweather und Fugate vom Aussehen der jungen Menschen nicht auf das “Böse” in ihnen oder die “kriminellen Absichten” zu schließen ist? Ist es notwendig, Lombroso noch einmal zu widerlegen? Was mir in diesem Kapitelchen vor allem fehlt, ist ein Bewusstsein davon, wie sehr das, was die historischen Figuren getan haben, selbst narrative Zusammenhänge generiert hat und nur über solche zu erfassen ist. Die Figuren werden – bis in Pop-Songs und in Verfilmungen hinein – schon von den ersten Radio- und Zeitungsberichten an - zu einer Legende. Nach einer wackeligen “Inhaltsangabe” ein allzu unproblematisches Herangehen an die historischen Figuren.
2. Filmische Umsetzung
a. Kit Carruthers
Er trägt, schreibt Bleek,
in einer rebellischen Attitüde auch im Job nicht die offizielle Arbeitskleidung, sondern wie die Kultfigur Dean ein weißes T-Shirt, Jeans und Cowboystiefel. Wegen dieser Aufsässigkeit verliert er wenig später seinen Job. (p. 17)
Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Kit trägt wie sein Arbeitskollege Cato Arbeitshandschuhe und hat einen Lederschurtz über seine Kleidung vorgebunden. Auch Cato hat außer diesen Arbeitsutensilien normale Kleidung und Schuhe an – und meines Wissens wird im Film nicht erklärt, warum Kit seine Arbeit verliert (eigenartiger Weise fehlt im Skript genau die Szene, in der Kit die Kündigung bekommt – wurde sie ohne Script gedreht? Keine Ahnung).
Es ist schade, dass sich Bleek so gut wir gar nicht mit dem Aussehen der Filmfiguren im Verhältnis zu dem der “realen” Vorbilder auseinandersetzt. Vor allem in den historischen Filmaufnahmen verblüfft mich die Härte, die bei beiden jungen Leuten vorscheint, besonders Fugate sieht viel älter aus als sie ist – und Starkweather wirkt betont kantig (was auf manchen Fotos aber auch wieder zurücktritt). So entsteht eine paradoxe Sitation: Die Filmfiguren sollen älter sein als die realen Vorlagen (Holly 15 – Kit 25), die Schauspieler sind noch einmal deutlich älter (Spacek 22, Sheen 32) – und in den historischen Aufnahen sehen die Figuren, die realiter viel jünger sind (Fugate 14 und Starkweather 19), älter aus als die Filmfiguren.
b.Holly Sargis
Die Figur im Film beschreibt Bleek ohne nochmaligen Bezug zu Caril Ann Fugate.
3. Vergleich zwischen realer Vorlage und filmischer Umsetzung
Ich paraphrasiere nur einige Zusammenhänge und Gegensätze:
Starkweather arbeitet bei der Müllabfuhr, er verliert seine Arbeit. Zwei Monate nach einem ersten Mord erschießt er die Mutter seiner Freundin und deren Stiefvater, er erwürgt die kleine Schwester seiner Freundin.
Kit arbeitet bei der Müllabfuhr, er verliert diese Arbeit. Später erschießt er den Vater seiner Freundin, die bereits Halbwaise war.
Für die Episode im Wald am Fluss gibt es anscheinend keine Entsprechung in der “Vorlage”.
Starkweather ersticht auf einer Farm einen alten Bauern und erschießt zwei junge Leute. (Hab ich das richtig auf die Reihe gekriegt? Nur ein bissl im Internet geschaut.)
Bleek erwähnt nirgends die auffallende Abweichung, dass Kit alle seine Opfer erschießt, während Starkweather, der auch ein Kind erwürgt, auf seiner Flucht seine Opfer mehrfach auch mit dem Messer attackiert. Kit tötet insofern distanzierter (die Tatwaffe ist durchgängig Revolver und Gewehr). Kit tötet nicht einen Bauern, sondern seinen ehemaligen Arbeitskollegen Cato. Er schießt auf zwei hinzukommende junge Leute (ob sie tot sind, bleibt unklar).
Starkweather ermordet den Präsidenten der Stahlwerke in Lincoln in seiner Villa, zugleich seine Frau und die schwerhörige Haushälterin. Er schreibt eine Art Geständnis, das grammatisch unzulänglich ist. Er plündert das Haus des Präsidenten und flieht gemeinsam mit Fugate mit dessen Auto, einem Packard.
Den “reichen Mann” tötet Kit nicht – seine Haushälterin ist taub. Was er in ein Diktaphon spricht, ist kein Geständnis, aber er entschuldigt sich für die Grammatik. Mit einem der Autos des reichen Mannes (einem Cadillac) flüchtet er mit Holly weiter.
Ein Sheriff sieht Starkweather, der mit einem anderen Mann um die Gewalt über einen Revolver ringt. Als er anhält, springt Fugate in seinen Wagen, Starkweather flüchtet im Auto. Dieser gibt aber auf, als er durch einen Glassplitter einer zerschossnen Autoscheibe verletzt wird. Er wird festgenommen, verurteilt und hingerichtet. Fugate wird zu lebenslanger Haft verurteilt, 1976 aber wieder freigelassen.
Holly will nicht mehr mit Kit weiter flüchten und ergibt sich der Polizei. Kit stellt sich nach einer Vefolgungsjagd mit dem Auto, ohne vorher verletzt worden zu sein. Während Holly später wieder freigeht, wird Kit verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.
Anders als Bleek meine ich, dass Malick wesentlich von der “realen Vorlage” abweicht, um seine Ezählung zu konstruieren. Ganz besonders gilt das für die Figur der Holly, die als Erzählerin ja besonderes Gewicht hat. Umgekehrt könnte man sagen, dass Malick mit Bezügen zur “wahren” Geschichte “spielt” und Details in seine eigene zum Teil an ganz anderen Stellen der Abfolge einbaut.
4. Die Exposition von Badlands
Wieder weist Bleek darauf hin, dass den Fotos von Starkweather und Fugate nicht anzusehen ist, was sie getan haben! (p. 19 f.)
a. Subversion der konventionellen Wahrnehmung
Nicht die Banalität des Bösen, sondern “die Unheimlichkeit des Gewöhnlichen” konstatiert Bleek (p.20) und spricht hier auch vom “negativen Klang” des Titelbegriffs Badlands. Relativ genau beschreibt sie die erste Einstellung des Films, besonders deren Kamerabewegung und das Interieur.
Um meine Polemik nicht allzusehr zuzuspitzen, riskiere ich meine eigene Sicht dieser ersten Minute des Films.
Erst einmal: Nach dem Signet der Warner Bros beginnt der eigentliche Film mit schwarzer Leinwand. In dieser Finsternis erklingt Musik und in einer Aufblende sehen wir: Ein Mädchen sitzt im Bett und tändelt mit einem riesigen Hund vor ihr. Das Zimmer ist nur vom Fenster her beleuchtet und schummrig. Aus dem Off ertönt eine weiblich Stimme, die vom Tod ihrer Mutter erzählt und davon, wie der Vater mit seiner Tochter übersiedelt, um aus diesem Umfeld von traurigen Erinnerungen heraus zu kommen – von Texas nach Fort Dupree, South Dakota. Eine Abblende führt die Einstellung zur Dunkelheit zurück, im Ton und durch die Musik wird aber zugleich eine Verbindung zu den nächsten Einstellungen hergestellt. Wenn wir dann Außenaufnahmen sehen (ruhige Straßen einer Kleinstadt oder Vorstadt), sind wir bereits mehrfach orientiert. Wir wissen, wo wir sind (zumindest South Dakota ist bekannt) und wir kennen eine weibliche Figur (noch namenlos), die vermutlich zugleich die Erzählerin ist (obwohl viele zeitliche Hinweise gegeben werden in den paar Sätzen ist nicht ganz klar, aus welcher zeitlichen Distanz sie spricht). Von Anfang an sehr dicht, würde ich sagen (die Sache dauert nicht einmal eine Minute) – und da ist noch was: diese Zärtlichkeit mit dem riesen Hund hat was von einer unbefriedigten Sehnsucht – und die Kamerabewegung, in der sie gezeigt wird, unterstreicht das noch: wie das Mädchen (die junge Frau) mit weit gespreizten Schenkeln dasitzt und den Hund streichelt .. zuerst sehen wir sie von der Seite, dann aber vom Fußende des Bettes her – wie sie sich zurücksinken lässt, die Beine bleiben gespreizt – und für Augenblicke ist das Tier wie der Schemen eines Liebhabers, zu dem sie hinblickt, den sie zu sich ziehen will, dem sie sich an den Hals wirft. Jetzt aber ist es Zeit, wieder Bleek zu zitieren, die von diesem Aspekt nichts weiß .. und ihn doch zu beschreiben scheint:
Durch diese Unterminierung unserer gewöhnlichen Wahrnehmung wird eine Art Wachtraum erzeugt. Es ist, als ob man als Zuschauer in Hollys verträumte Mädchenwelt hineingezogen wird. (p. 21)
b. Liebes- und Todesahnung in der ersten Begegnung von Holly und Kit
Ausführlich werden hier bei Bleek die nächsten Einstellungen geschildert – es genügt mir aber nicht, nur auf ihren Text zu rekurrieren.
Wie ich bemerkt habe, wissen wir, wo wir sind (in einer Stadt in South Dakota – aber wissen wir, wo Fort Dupree ist? Vielleicht handelt es sich um Dupree in der Nähe von Rapid City). Ruhig sind die Straßen an diesem Sommertag zunächst. Wenn dann der Müllwagen um die Ecke biegt, ist es bald vorbei mit der Ruhe – ganz nahe sind wir dran an dem Lärm der Maschinen und der Arbeit .. und die Müllarbeiter geben sich gar keine Mühe, leise zu sein. Kit, der Bursche, der aussieht wie James Dean, wird eingeführt als arbeitender Mensch. Das muss hervorgehoben werden, weil Arbeit (bzw. die Schwierigkeit, eine sinnvolle Arbeit zu finden) weiterhin für Kit eine Rolle spielt – und weil die Thematisierung der Arbeitswelt, besonders auch der schweren Arbeit, ein Charakteristikum der frühen Filme von Malick ist. Kit wird als Arbeiter gezeigt – er tut seinen Job, aber er taugt ihm nicht. Verdeutlicht wird das auch durch eine Serie von solzialer Ablehnung, die er erfährt. Er macht einen Witz – und blamiert sich, weil er einen toten Hund für einen Collie hält (aber es ist kein Collie, dadurch verpufft der Witz). Er will eine Zigarette schnorren, kriegt aber keine. Er möchte ein Paar Schuhe verkaufen, das er findet, es gelingt nicht. Er schmeißt dann die Arbeit hin – oder ist das nur seine Art, das Ende des Arbeitspensums als eigene Entscheidung auszugeben? Vielleicht aber hat seine Kündigung später damit zu tun, es wird nicht ganz deutlich.
Eingeschnitten wird Holly, die Baton twirling übt und dabei über die Straße tanzt. In voice-over hören wir ihre Erzählerinnenstimme: “Little did I realize that what began in the alleys and back ways of this quiet town would end in the Badlands of Montana.” Was hier erzählend bedeutet wird, hat noch gar nicht begonnen – es ist ihre Geschichte mit Kit, mit dem sie in den Straßen der Stadt spazieren wird – dem sie dann aber an einem bestimmten Punkt der Geschichte nicht mehr weiter begleiten will (es ist nicht in den Badlands und auch nicht in Montana, aber an der Grenze dazu).
Subtil analysiert Bleek, wie die Titel-Einspielung symbolisch mit den Figuren verwoben wird (ich wollte es ihr zuerst nicht glauben): Während Kit den Stiel eines Mobs balanciert, werden die Namen der Schauspieler eingeblendet. Als dann der Name von Sissy Spacek erscheint (die ja Holly spielt), verliert Kit die Balance und der Mob fällt herunter. Bleek deutet das als “schlechtes Omen”. Besser finde ich, einfach festzuhalten, dass hier offensichtlich der Balance-Velust semantisch hereingebracht wird. Merkwürdigerweise übersieht sie dann, dass danach der Namen von Warren Oates erscheint, der Hollys Vater spielt: Kit kickt eine Blechdose – und als der Name wieder ausgeblendet wird, sieht er sich um (als täte er was Verbotenes) und tritt die Dose flach – es ist eine starke, aggressive Geste – dann schlägt er die deformierte Dose mit der Schuhspitze weg. Erst in dieser Rekurrenz wird das Strukturelement wirklich signifikant, es scheint so, als hätte Malick hier ganz bewusst Aspielungen auf die Figurenkonstellation mit einbaut.
Was die Einblendung des Titels Badlands betrifft, ist eine negative Konnotation von “bad” genauso wie die Denotation “Badlands” (als unwirtliches Land) natürlich da, der Titelbegriff rekurriet aber bereits auf die erzählerische Vorausdeutung und gehört, wie das Bild, in dem der Titel erscheint, zeigt, zur gemeinsamen Geschichte derer, die sich in diesem Moment begenen. Badlands ist vor allem ihre gemeinsame Geschichte.
Bleeks Interpretation der Farbe Rot in diesen ersten Filmminuten und ihre Darstellung des vermeintlich Ominösen überzeugt mich nicht besonders, wieder kommt mir vor, sie übersieht in diesen Einzelheiten wichtigere Zusammenhänge. Liebesahnung, ehrlich, was soll das, nein, Todesahnung: auch nicht – davon ist doch nicht zu reden in der Exposition, auch wenn ein toter Hund vorkommt.
Was mich vielmehr elektrisiert hat, ist dieser erste Blick von Kit auf Holly. Es ist ein beutemachender Blick (und wie er sich dann umsieht, als müsste er sich vergewissern, dass ihn niemand sieht bei dem, was er jetzt angeht). Zugleich irritiert mich ein Detail, das weiße T-Shirt, das nicht immer so weiß ist. Als Kit sie zuerst sieht, hat er ein blütenweißes T-Shirt an, man sieht es genau. Die nächste Einstellung, in der er von hinten zu sehen ist, wie er zu ihr geht, zeigt deutliche Verschmutzungsspuren auf dem Rücken, was verständlich ist, weil er ja von der Müllarbeit kommt. In der nächsten Einstellung, die ihn wieder von vorne zeigt (vorher ist eine von Holly eingeschoben), ist das Hemd nun auch auf der Vorderseite deutlich verschmutzt. Was machen wir mit so einem Detail? Handelt es sich einfach um einen Regiefehler? Sollen wir dem “übertragene Bedeutung” zumessen (“schmutzige Gedanken”, die auf dem Reinweiß des Shirts erscheinen?). Als sie dann ihren ersten gemeinsamen Gang machen in einer der Alleen, ist sein Hemd wieder rein. Ich will mich nicht weiter aufhalten damit.
Bedeutsam erscheint mir noch, wie Kit sich Holly gegenüber gleich zu Beginn als jemand vorstellt, der etwas zu sagen hat (“I got some stuff to say”) und sich insofern von anderen abheben will (“Most people don’t have anything on their minds, do they?). Er will sich vielleicht nur aufspielen vor Holly – das Motiv wird dann aber mehrfach aufgegriffen (wenn er eine Platte bespielt, in ein Diktaphon spricht). Vielleicht komme ich darauf noch zurück. Kit glaubt, dass er etwas zu sagen hat – was wir vor allem hören ist, wie er redet (zuvor etwa sagt er zu Cato: “he don’t talk much”).
c. Die Besonderheiten von Malicks Blick auf die Vorlage
Die solziale Dimension erscheint in der Exposition des Film nahezu eliminiert. (p. 24)
Im Gegensatz zum Befund von Bleek will mir scheinen, dass im ersten Teil des Films gerade diese Dimension präzise herausgearbeitet wird. Dazu gehört vor allem, dass die soziale Integration von Kit als fortwährendes Scheitern beschrieben wird. Gleich in den Eingangssequenzen erlebt er mehrfache Ablehnung (siehe oben) und er steht als Schulabbrecher da. Holly bedeutet ihm, dass er als Müllarbeiter nicht die Beziehung ist, die ihr Vater sich für sie wünscht (und Holly verleugnet ihn auch sogleich ihrem Vater gegenüber und verheimlicht ihm dann, dass sie Kit weiter trifft). Kit verliert seine Arbeit als Müllarbeiter und kann bei der Arbeitsvermittung eigentlich keine Qualifikationen vorweisen. Er bekommt einen Job auf einer Rinderfarm, die Arbeit wird als Entfremdungszusammenhang markiert. Hollys Vater lehnt ihn brüsk ab, als er sich ihm vorstellt. Es wird deutlich, dass unser junges Paar keinen Platz für seine Beziehung hat. Der Vater Hollys, der ihr Verhältnis zu Kit entdeckt, bestraft die Tochter, indem er ihren geliebten Hund erschießt – und er verdonnert sie zu Musikunterricht. Kit beabsichtigt dann (anscheinend ohne mit Holly darüber zu sprechen), mit seiner Freundin heimlich zu fliehen. Er wird vom Vater beim Einbruch in sein Haus ertappt und muss mit einer Verhaftung rechnen. Da schießt er ihn nieder. Damit wären wir freilich bei Zusammenhängen, die für Bleek nicht mehr zur Exposition gehören, aber ohne Zweifel die Relevanz einer “sozialen Dimension” für den Film belegen.
Der Name Carruthers. Kit stellt sich Holly auch mit seinem Familiennamen vor, der ihm nach “druthers” klingt. Zu “druthers” gibts einen Wikipedia-Eintrag – trotzdem ist mir der genaue Sinn dieser Szene nicht ganz klar. (Vgl. http://en.wiktionary.org/wiki/druthers). Jedenfalls ist es die einzige Mal, dass Kit von seiner Familie und seiner Kindheit spricht (der Familienname mit seiner Konnotation als Last, für die er nicht kann).
II. Modelle aus der Genretradition: „Paar auf der Flucht“ (p. 25-38)