Bleek, Kapitel III
Willi Schedlmayer | 7. Mai 2011Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., EUR 34.90 / CHF 47.90. ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
III. Bild und Ton in Badlands: Die Schaffung einer Kunstwelt (p. 39-57)
Verweis auf Michel Chion, dazu hier der Link zu Wikipedia:
Chion befasst sich mehrfach mit Ton im Film – Bleek zitiert besonders:
- Michel Chion, La voix au cinéma, coll. « Cinéma Essais », Cahiers du Cinéma, Paris, 1984.
1. Funktionen des Tons in Badlands
a. Klärung der Terminologie
Wer a. sagt .. kann auf b. auch vergessen – aber einen Lektor, der es bemerkt, kann man sich bei Fink nicht leisten.
Diegese wäre ein erprobter Begriff, um Erzählebenen und -Techniken zu beschreiben: Die Welt (das Universum) der Erzählung, wenn es eine einfache Erzählung ist – oder eine bestimmte Ebene in einer komplexeren Erzählung, von der andere Ebenen unterschieden werden. Vgl. dazu:
Auf eine Analyse der Erzählstruktur lässt sich Bleek aber nicht wirklich ein. Sie versucht sich zu orientieren – der Verweis auf
Barbara Flückiger (2005). Narrative Funktionen des Filmsounddesigns: Orientierung, Setting, Szenographie“, in: Harro Segeberg & Frank Schätzlein (Editors): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in dem Medien, Marburg, 140-156.
ist weiterführend – eine gescheite Frau! Die Website von Barbara Flückiger:
Während Flückiger fein differenziert, fällt Bleek wieder in die bloße Unterscheidung von diegetisch und nondiegetisch zurück:
- diegetisch wäre ein Ton, der eine indexikalische Funktion (auf eine Tonquelle im Handlungsgeschehen verweisend) oder eine Orientierungsfunktion für das Filmgeschehen hat.
- nondiegetisch wäre Musik (aber Bleek verabsäumt es hier, darauf hinzuweisen, dass auch Musik diegetisch sein kann – wenn sie ihre Quelle im Filmgeschehen hat – und eine derart diegetisch legitimierte Musik ist in Badlands zweimal auch handlungstragend, wenn Kit und Holly dazu tanzen); nondiegetisch wäre aber auch voice-over, also eine Erzählerinnenstimme, die nicht zur Zeitlichkeit und Örtlichkeit des Bildes gehört. Gérard Genette hat hier subtiler unterschieden – und etwa eine mögliche “autodiegetische” Erzählerposition bestimmt.
2. Ein Mädchen als Erzählerin in Badlands
Die Mädchenwelt und das Mädchen – immer wieder wird Holly von Bleek dem Kindlichen zugeordnet. In Bezug auf diese Figur als Erzählerin ist das Unfug. Wir sehen zwar eine Frau, die 15 sein soll, aber wir hören eine Stimme, die am Schluss des Films erzählt, dass sie inzwischen mit dem Sohn ihres Anwalts verheiratet ist. Vor allem dieser Umstand markiert eine diegetische Differenz – als Ehefrau gehört sie nicht mehr in diese Welt der Mordserie und der Flucht, sondern ist in der Bürgerlichkeit gelandet, die ihr Vater immer für sie vorgesehen hat. Anzumerken ist aber auch, dass gerade dieses fiktive “Happyend” ein Märchenmotiv ist – die Wirklichkeit der Caril Ann Fugate hat anders ausgesehen.
a. Struktur des Kommentars
Über Erscheinung und Stimme der Figur Holly/Sissy Spacek innerhalb der Bilder ist die Stimme im Off mit der Welt der Diegese verbunden. (p. 43)
Aber wir erfahren nicht, wo gesprochen wird, wir erfahren vage, wann gesprochen wird (nach der ganzen Geschichte mit Kit, nach seinem Tod) – es bleibt unklar, zu wem die Stimme eigentlich spricht – und: Die erzählte Figur Holly und die Erzählerin selbst wird “psychologisch nicht wirklich greifbar” (Blick und Welt, p. 44). Und in diesem Nebel soll es Struktur geben? Kein Wunder, dass für Bleek “der Zusammenhang zwischen Hollys Worten und den Bildern häufig unbestimmt bleibt” (ebd.).
Im Gegensatz dazu meine ich, dass die Bilder des Film durchaus in erzählerischem Zusammenhang mit der Voice-Over-Stimme stehen. Gerade da, wo Bleek der Zusammenhang fehlt, ließe sich das gut zeigen.
Nach der ersten Begegnung mit Holly sehen wir, wie Kit seine Arbeit bei der Müllabfuhr verliert und eine neue Arbeit vermittelt bekommt. Die nachfolgenden Sequenzen von etwa sieben Minuten erzählen, wie Holly und Kit sich verlieben, obwohl beiden nicht viel gemeinsame Zeit bleibt. Sie geht ja in die Schule und hat auch sonst ein soziales Umfeld (zum Football gehören auch die Zuseherinnen) – und er hat eben seine trostlose Arbeit im Feedlot. Welches sind die Mittel, mit denen die Romanze erzählt wird? Wir haben Szenen, in denen beide zu sehen sind – mit Ton und Dialog. Es gibt aber auch viele Bilder ohne diegetischen Ton – und umgekehrt gibt es Musik, die nicht diegetisch ist – und eben die Voice-over-Erzählung. Es sollte aber festgehalten werden, dass gerade diese Voice-over-Technik die eigentliche Diegese konstituiert (oder zumindest mit-konstituiert). Die Romanze macht hier ja gerade die erzählte Welt aus. Es ist eben eine Montage-Technik, in der hier die Erzählung aufgebaut wird. Wir sehen Bilder des harten Arbeitsalltags von Kit im Feedlot (einer Mastanlage für Rinder) – der diegetische Ton ist ausgeblendet, dafür hören wir die leitmotivische Musik – und darüber dann die Erzählerin: “Kit went to work in the feedlot while I carried on with my studies. Little by little we fell in love…”. Später wird in der Erzählung von Holly noch einmal deutlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Bildern der entfremdeten Arbeit und der Liebesgeschichte besteht: “In the stench and slime of the feedlot, he’d remember how I looked the night before, how I ran my hand through his hair and traced the outline of his lips with my fingertip. He wanted to die with me, and I dreamed of being lost forever in his arms.” Die Romanze wird erzählt als etwas, was zunächst den Alltag des Paares durchdringt. Subtil werden zugleich Signale gegeben, dass jenseits der romantischen Zweisamkeit eine gewisse Grausamkeit der Figuren vorliegt (Kit steigt auf ein totes Rind, Holly wirft einen lebenden Fisch in das Melonenfeld hinterm Haus). Und schließlich zeichnet sich eine Gabelung ab – während Kit noch hoffnungsvoll einen Ballon steigen lässt, hat Holly bereits Illusionen eingebüßt. Erzählt wird das aber nicht durchgängig durch sie selbst, sondern teilweise auch in den Dialogszenen, die symbolisch angereichert sind. Ein solcher symbolisierender Angelpunkt ist die Szene unter dem Baum – locus amoenus und literarisch hoch aufgeladenes Gespräch der Liebenden. Holly weist auf die Schönheit des Ortes hin (What a nice place!) – Kit passt nicht wirklich auf. Holly gefallen besonders die Blumen: “Let’s not pick them. They’re so nice.” Die Blume wird dann doch gepfückt – in einer anderen Szene sehen wir die beiden nachdem sie erstmals Sex miteinander gehabt haben. Spätestens da ist die eigentliche Romanze vorbei – Holly ist sichtlich irritiert. Und dann kommt eben bald auch der Einbruch von außen, wenn der Vater das Verhältnis entdeckt und als Strafe ihren Hund tötet.
Erzählt wird also mehrschichtig – in Bildern, durch Musikuntermalung, durch dialogische Szenen – und die Voice-over-Stimme. Dabei ist interessant, dass Holly mehrfach auf innere Vorgänge von Kit eingeht, ihre eigenen Gefühle jedoch eher tiefgründig in symbolisch konstellierten Dialogen zugänglich werden. Erzählt wird, könnte man zusammenfassen, höchst artifiziell – und die Voice-over-Stimme ist darin nur eine Ebene.
Wichtig der Hinweis auf Sarah Kozloff, die von Bleek mehrfach zitiert wird:
- Sarah Kozloff: Invisible Storytellers. Voice-Over Narration in American Fiction Film. Los Angeles, 1988.
b. Funktion des Kommentars
Hier wird ein Aufsatz von Anne Latto zitiert, eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Text findet aber nicht statt. Dabei ist Anne Lattos Ansatz durchaus interessant – sie geht von Gender und point of view aus.
- Anne Latto: Innocents Abroad: The Young Female Voice in Badlands and Days of Heaven. In: The Cinema of Terrence Malick: Poetic Visions of America, hg. von Hannah Patterson, p.86-9.
Nur als Verweigerungshaltung kann ich es begreifen, wenn Bleek schreibt: “Man würde Badlands auch ohne den gesprochenen Kommentar begreifen” (p.45). Auf der Suche nach einer “positiven Funktion” der Stimme von Holly findet sie:
Die Funktion ist offenbar nicht nur die, eine Unschuldige zu zeichnen, die in ein Drama involviert wird, das ihr über den Kopf wächst. Die Funktion scheint auch die zu sein, den Effekt eines Wachtraums zu erzeugen. Die Belanglosigkeit des Gesagten führt dazu, dass man nach einiger Zeit weniger auf die einzelnen Worte achtet, als dass man Klang, Melodie und Rhythmus der Sätze wahrnimmt. (p. 45)
Es ist nicht falsch, dass Hollys Stimme tatsächlich auch zur “Klangsphäre des Films” (p. 46) gehört – hier aber von der “Belanglosigkeit des Gesagten” zu reden, zeugt von reinem Unverständnis.
3. Der Einsatz der Musik in Badlands
Bleek wendet sich einer Episode im Film zu – der ersten “Station” des Paares auf der Flucht: ihrem Aufenthalt im Flusswald. Tatsächlich spielt hier Musik eine elementare Rolle – vorwegnehmend möchte ich meinem Staunen Ausdruck geben, wie es möglich ist, dass Bleek die diegetisch eingebrachte Musik in dieser Episode völlig übersieht – Holly und Kit tanzen zum Song “Love is strange .. ”
- Hier der Link zum Text: http://www.stlyrics.com/lyrics/dogma/loveisstrange.htm
a. Verknüpfung von Musik und Gegenständlichkeit
Vermutung ist, dass sich in der Musik die Erwartungen der Figuren und ihre Erfüllung berühren, ohne dass dafür etwas an der gegenständlichen Welt vor der Kamera verändert werden müsste. (p. 46 f.)
Begreife es, wer will – man kann es sich doch auf der Zunge zergehen lassen!
b. Kit und die Musik von Carl Orff
Verweis auf den “Gassenhauer” aus dem “Schulwerk” von Carl Orff und Gunild Keetman, der mehrfach im Film gespielt wird.
Parallel zum Thema des Musikstücks wird Kit als Gassenjunge inszeniert. (p.48)
Wert gelegt wird auch auf die Material-Übereinstimmung: Xylophon=Holz .. und Holz ist im Film zu sehen.
c. Filmästhetische Auflösung des Antagonismus von Musik und Gegenständlichkeit
.. es ist also “kein Zufall”, dass “Holz im Bild zu sehen ist, wenn das Xylophon erklingt” (p. 49). „Entscheidend an dieser Art der Verknüpfung von Ton und Bild ist, dass Materialqualitäten in den Bildern zum Klingen gebracht werden.” (ebd.) Mir erscheint dieser “Gedanke” einer simplen Material-Analogie extrem naiv.
4. Die Unmöglichkeit eines Rückzugs in die Natur
Es ist nicht alles falsch, was Bleek in diesem Kapitel ausführt, aber es ist ungeschickt formuliert und ohne Blick für größere Zusammenhänge. Verweis auf Das Bild “Daybreak” von Mawell (Maxfield) Parrish, das als Requisit im Film vorkommt.
Geht es in Badlands wirklich um einen Rückzug in die Natur?
5. Schicksalhaftigkeit, Todesahnung und Grenze der Idylle
Malick zeigt, dass die Figuren der Welt, der sie entflohen sind, nicht entkommen. Aber das ist nicht alles. Er stellt auch dar, wie schicksalhaft die Entwicklung der Figuren eigentlich verläuft. (p. 50)
Schicksal, Todesahnung, Idylle – in dieser Mischung verstellen, wie mir scheint, die Begriffe eher den Blick auf den Film, als dass sie etwas erhellen.
Wie können wir Badlands “lesen” – “sehen” – “verstehen”? Auch die Episode im Flusswald verweist uns auf komplexe Zusammenhänge unterschiedlicher Ebenen.
Das Paar ist, nach dem Mord an Hollys Vater, auf der Flucht – macht aber sogleich “Station”. Wie von mir bereits angemerkt, gibt es für diese Episode kein Vorbild in der historischen Vorlage – die fiktive Sequenz von etwa 10 Minuten ist aber für das Verständnis des Films unverzichtbar. Einem Verständnis nähere ich mich, indem ich frage, was passiert hier für das Figuren-Paar – und was geschieht in Bezug auf die einzelnen Figuren.
Wie für andere Episoden gilt auch hier: die Film-Erzählung wird durch Bildsequenzen mit ausgeblendetem oder reduziertem diegetischen Ton, der Voice-over-Stimme von Holly, Musik und Filmszenen mit Dialog oder anderem diegetischen Ton gebildet. Elementar für ein Verständnis ist wieder einmal die Erzählung Hollys – aber eben nicht nur.
Was passiert also mit dem Paar? Sie bauen sich ein Haus – auch wenn es nur ein Baumhaus ist – und sie leben eine Art Alltag. Es ist, was ihnen die Gesellschaft und der Vater zuvor verwehrt haben. Sie schaffen etwas gemeinsam – sie schlafen beieinander (dass es zu Sex kommt, ist jedoch nicht ersichtlich) – Kit rasiert sich, Holly hat Lockenwickler, es gibt Frühstück und Tanz zu Radiomusik, Nahrungsbeschaffung und “Freizeit” (Tierbeobachtung, Lesen). Es kommen in diesem Tun abenteuerliche Klischees heraus, die wie eine Mischung von Lesefrüchten aus dem “Schweizerische Robinson” und den “Höhlenkindern” wirken (das Baumhaus, die Verwendung “steinzeitlicher” Werkzeuge). Dazu kommt aber die mitgeführte Zivilisation (mit Hausrat aus dem Haus des Vaters und zwei Schusswaffen zur Verteidigung). Genau dort, wo das steinzeitliche Spiel (Kit versucht vergeblich, mit einem aus Holz gebastelten “Netz” einen Fisch zu fangen) sich an die Grenze der Zivilisation begibt (man sieht im Hintergrund einen Lastwagen fahren – und dann schießt Kit auf den Fisch), bricht die “Idylle” auf – und die Kopfgeldjäger kommen ins Spiel. Hier ist von einem weiteren Klischee zu reden, das zugleich Genre-Merkmal ist – dem Helden als “Master-Mind”. Der Held hat einen Plan – und er führt ihn meisterhaft aus. Das geht auch hier auf. Die ganze Episode ist nicht nur Rückzug in die Natur, sondern zugleich eine Art Falle, die Kit seinen Verfolgern stellt. Und zum Schluss schnappt die Falle zu – und die Kopfgeldjäger sind tot. Holly erzählt davon, dass sie genau wissen, dass sie verfolgt werden: ” .. we knew they’d be looking for us. Kit made sure we’d be prepared”. Das Baumhaus und die Grube im Boden haben auch diese Funktion: gewappnet zu sein. Kit baut an selbstauslösenden Waffen – und entdeckt schließlich die Jäger rechtzeitig. Zuvor schon schult er Holly im Umgang mit dem Gewehr und trainiert selbst für die Verteidigung. Als es dann so weit ist, geht alles wie geölt – sie verstecken sich, die Jäger tappen in die Falle – und werden von Kit erledigt. Kit ist hier der Abenteurer und Krieger, der erfolgreich überlebt – und zugleich dieser Junge, der mit seinem Mädchen auf Campingurlaub ist. Umgekehrt ist Holly eine, die sich die Rolle von Kit zuschreiben lässt (sie schleppt schwere Lasten, um stärker zu werden), die auch “weibliche” Verhaltensmuster einlöst (Lockenwickler, Schminken) – darüber hinaus aber auch sensibler ihre Naturumgebung wahrnimmt – und vor allem zu Reflexionen über ihre eigene Position findet, die quasi der Angelpunkt für den ganzen Film sind.
Das Paar hat hier im Wald seine Zeit, diese Episode ist, wie wir verstehen, eine Art regressive Schleife, in der sich die beiden die Erfahrung eines Alltags ertrotzen – und letztlich ist genau das in ihrer Situation völlig absurd, unwahrscheinlich und märchenhaft. Durch das mitgeschleppte Zeug aus dem Haus des Vaters kommt erst diese Mischung aus Steinzeit (was der Wald und die Natur zur Hand gibt) und Zivilisation (das Mitgenommene) zustande, beides ist auch ein ironisches Konstrukt. Wenn Holly etwa mit dem Binokular den Wald beobachtet, sieht sie ein merkwürdiges Tier “not a deer or a horse”, wie das Script anmerkt: es ist ein Lama, das eigentlich nicht in diesen Wald gehört. Und was Holly dann sagt, ist, wie Bleek in Anmerkung 40 (p. 50 f.) auch nachweist, ein Zitat aus Huckleberry Finn. Was sie tun, ist in den “Höhlenkindern” vorgezeichnet – und es wird in der Lektüre von Thor Heyerdahls “Kon-Tiki” gespiegelt (arbeiten wie in der Steinzeit). Was Holly erzählt, ist wörtliches Zitat, wie Kit handelt, gehorcht einem Genre-Muster (Master-Mind zieht einen Plan durch). Und dazu dann die Alltagssituationen, die suggerieren, dass wir hier ein junges Paar haben, das auf Erwachsene spielt.
Holly, die sich ja aus freien Stücken entschlossen hat, Kit zu begleiten (weil er sie liebt!), erzählt in dieser Episode auch von innerer Distanz zu ihrem Gefährten: ” .. at times I wished he’d fall in the river and drown, so I could watch”. Wieder das Motiv der Grausamkeit (wie damals, als sie ihren zappelnden Fisch ungerührt ins Melonenfeld wirft). Es ist eine konkrete Todesphantasie – nicht eine der “Todesahnungen” (von der Bleek immer wieder redet). Besonders in dieser Sequenz, wo sie die historischen Stereobilder ihres Vaters betrachtet, erzählt sie (in voice-over) von Reflexionen, in denen die Geschichte von Badlands als ganze balanciert wird:
“One day, while taking a look at some vistas in Dad’s stereopticon, it hit me that I was just this little girl, born in Texas, whose father was a sign painter and who had only just so many years to live … It sent a chill down my spine, and I thought: Where would I be this very moment if Kit had never met me? … Or killed anybody? This very moment… If my Mom had never met my Dad? If she’d of never died?… And what’s the man I’ll marry going to look like? What’s he doing right this minute? … Is he thinking about me now, by some coincidence, even though he doesn’t know me? Does it show on his face?”
Was hier hereinkommt, ist eine mögliche ganz andere Geschichte – eine Art von Geschichte, wie sie Paul Auster erzählen könnte (die Geschichte einer Begegnung, die lange vor der Begegnung beginnt als Denken aneinander, ohne dass man sich noch kennt). Holly denkt an ihren zukünftigen Mann – und am Schluss des Films erfahren wir auch, dass sie ihn gefunden hat – die komplizierte Gedankenkonstruktion lenkt aber auch davon ab, dass dieser Mann, von dem sie träumt, nicht Kit ist, von ihm hat sie sich innerlich bereits gelöst. Und doch ist sie mit ihm hier – ihr Konflikt lähmt sie: “For days afterward I lived in dread. At times I wished I could fall asleep and be taken off to some magical land, but this never happened.”
Holly ist innerlich bereits beim nächsten Mann – bei dem, den sie heiraten wird. Was hier deutlich wird: die Geschichte von Kit und Holly als Paar läuft nicht synchron mit der Geschichte ihrer Flucht.
Schwieriger ist es, von dem zu reden, was Kit treibt. Es gibt eine intentionale Ebene, auf die mehrfach angespielt wird – “I got it all planned… and I’m taking Holly off with me”, sagt er zu Hollys Vater. Auch was er auf die Platte spricht, ist Teil seines Plans – “He was gambling for time”, erzählt Holly. Es ist ein Spiel – das Baumhaus, die Grube: wie eine Falle, die zuschnappt. Alles geht auf – aber anders als die Innensicht von Holly, die sich für uns durch Voice-over retrospektiv oder durch Dialoge diegetisch erhellt, wird diese intentionale Ebene von Kit nicht genauer expliziert. Vielmehr wird die Szenenfolge der “Falle” musikalisch inszeniert.
Wie das genau passiert, müsste man sich sehr genau ansehen – hier nur so viel: ähnliche Muster gibt es im Western, besonders im Italowestern. Das eigenartige bei Malick ist die gesuchte Qualität der Musik (Orff – nicht Morricone). Aufgefallen ist mir auch, dass die Faust-Szene, die hier musikalisch-poetisch hereinkommt (die Mitternachtsszene aus Faust II) zugleich auf die übernächste Episode verweist, die beim reichen Mann spielt.
Ein kurzes Innehalten ist vielleicht angebracht – denken wir an einen Begriff wie Diegese zurück. Was können wir anfangen damit – welches ist das erzählte Universum von Badlands? Es ist eine Welt, die quasi in einem Parallelunversum abläuft – sie ähnelt unserer Zeitgeschichte, wir erkennen Orte, die Signaturen einer Zeit (South Dakota, 1959), sogar die einzelnen Strukturen einer „wahren“ Geschichte (der von Starkweather & Fugate) – und doch ist es eine fiktive Welt, die in ihrem Ablauf und ihren Grenzen erst mit dem letzten Bild des Films bestimmt wird – oder für immer unbestimmt bleibt.
Ein Wort wie Diegese sagt, dass eine Welt so gedacht werden kann, als existierte sie für sich, als wäre sie in sich stimmig – und hätte zugleich ein Außerhalb, letztlich uns als Beobachter. Erzählen ist eine Sinnproduktion – und die diegetische Welt eine der Projektionen unserer Exegese.
Die Diegese selbst kann aber auch verweisen, teilweise übereinstimmen mit unserer Wirklichkeit und sie so kommentieren. Ein derartiger Verweis auf „reale“ Kultur und Geschichte wäre die Geschichtlichkeit der Gegenstände oder Kulturgüter (das Fluchtauto ist ein Mercurey, Das Bild ein Mawell Parrish, das Radio ein Zenith, das Paar tanzt zu einem Song, den es wirklich gibt, siehe oben). Wir verstehen, dass der Film sich auch mit amerikanischer Kultur und Zeitgeschichte auseinandersetzt. Wie leicht man dabei in die Irre gehen kann, ist mir unlängst aufgegangen, als ich “Rebel Without a Cause” wiedergesehen habe: Das Auto von Kit (der Mercurey) verweist nicht nur auf eine bestimmte Zeit und den amerikanischen Alltag, sondern zugleich auf die von James Dean verkörperte Figur in diesem Film, die auch einen Mercurey fährt (ich hatte es vergessen).
Diegese als „Struktur“ oder „Symbol“: die Welt der gezeigten Handlungen und Dinge verweist uns zugleich auf anderes. Wenn die beiden mit primitven Werkzeugen ein Baumhaus bauen, erkennen wir literarische Muster wieder (die „Höhlenkinder“ u.a.). Wenn von einem abgestorbenen Baum die Rede ist und später ein solcher im Fluss treibend von der Kamera begleitet wird, wird durch die Rekurrenz das Ding zugleich symbolisch aufgeladen – es wäre Sache der Interpretation, damit sinnzuschreibend umzugehen (oder sich zu hüten davor).
Diegese als (ironischer) Schein: wenn Holly im Flusswald nun nicht ein Lama, sondern gleich ein Einhorn erschiene, wäre die Sache noch deutlicher – hier stimmt was nicht in der gezeigten Welt, oder wäre damit der Blick Hollys gemeint?
Nicht nur Verweis auf Diegese, sondern Zitat: was Holly sagt, bezieht sich nicht nur auf eine erzählte Situation, sondern deckt sich mit dem Wortlaut eines ganz anderen Zusammenhangs (einem Roman von Mark Twain). Was fangen wir an damit?
Und dann die nichtdiegetische Musik – hier vor allem aus dem Schulwerk. Nichtdiegetisch bedeutet, dass wir die Musik hören, in der gezeigten Welt die Musik aber unhörbar ist (und tendeziell wird dann zugleich das in dieser gezeigten Welt Hörbare ausgeblendet). Bleek merkt ja auch, dass teilweise der Rhythmus der Musik mit gezeigten Handlungen übereinstimmt – aber wie verstehen wir das? Gerade das Erbauen des Baumhauses und die Entdeckung und das Annähern der Kopfgeldjäger sind musikalisch signifikant begleitet. Das eine mit der heiteren Musik des „Gassenhauers“, das andere vor allem mit der Vertonung der „Mitternachtsszene“. Durch die Musik erscheint die Handlung quasi choreographiert. Einmal ein ironisch-heiteres Balett des Steinhammers – dann die opernhaft-dramatische Zuspitzung einer Gefahrensituation, in der das Timing des Helden genau stimmt. Hier zu Letzterem die Stelle im Script:
Holly is off somewhere in the forest. putting on lipstick. Kit sits on watch in the crowls nest, a pair of binoculars close at hand. On sound, over the music, we hear voices whispering to them. Kit sees a movement in the brush. A moment later a figure appears, a hunter, carrying a gun. Kit shouts a code word to Holly. She takes off running, as Kit clambers down the planks of the treehouse and collects his shotgun. He tells her to hide, runs through the woods and dives in a hole, under a cover of leaves. She jumps behind a log. Several shots of the still forest follow, then the hunters appear, a shoulder here, pant leg there. The music ends as one of them cocks his gun.
„ .. we hear voices whispering to them“. Im Script vermischen sich die Welten: was wir als reimendes Flüstern über der Musik hören, gilt den Figuren. Aber müssen wir uns jetzt mit Geistern diesseits und jenseits der Diegese beschäftigen?
I know the stars and
I saw the trees
I know the flowers and
I set the breeze
An die Stelle von Mangel, Schuld, Sorge und Not (in der Mitternachtsszene) – sind .. Naturgeister getreten?
Deutlich wird, dass durch die Musik der Handlungsablauf begleitend gegliedert wird, sich zu einer stringenten Choreographie verdichtet: Im leisen Rhythmus und dem „kindlichen“ Singen der Greisinnen (hübsche Ironie, die auch bei Malick durchscheint) zeichnet sich für Kit die Gefahr ab – dann, als er vom Baumhaus hinunterstürmt, Holly zuruft, sich zu verstecken und sich selbst versteckt, spielt und endet sekundengenau eine schnelle Musik – und beim Herannahen der Kopfgeldjäger tönt dann wieder die leise Faustvertonung aus dem Schulwerk bis zum Wort „Tod“ (und ganz kurz ist noch einmal das Lama zu sehen!). Als einer der Kopfgeldjäger sein Gewehr repetiert, wechselt der Ton wieder in die Diegese zurück.
Das Flüstern gehörte in einen diegetischen Zwischenbereich – die Musik ist jenseits der Diegese auf Seiten der Erzählweise und vermittelt die Wachheit und Präzision der Figur Kit, gehört also mit zu den Erzählmitteln, mit denen die „Falle“ als solche kenntlich gemacht wird.
Das Paar ist auf der Flucht und lebt tagelang im Wald zurückgezogen. Sie bauen mit primitiven Mitteln ein Baumhaus, in dem sie leben, und bereiten ihre Verteidigung vor. Dennoch ist Kit unvorsichtig (er schießt auf einen Fisch im Wasser) – und so werden sie aufgespürt. Es gelingt Kit aber, seine Vefolger zu erledigen.
In dieser Episode haben die beiden viel Zeit für einander. Holly ist mit ihren Gedanken aber bereits bei dem Mann, den sie später einmal heiraten wird und tagelang von Furcht gequält. Kit hingegen spielt hingebungsvoll „Steinzeit“ und geht ganz im Alltag auf. Er provoziert seine Auffindung, ist aber wachsam genug, die Vefolger auszuschalten.
6. Aufbau einer Märchenwelt: Badlands und The Night of the Hunter (USA 1955)
In Bezug auf Badlands hat Bleek einen klaren Befund: “Die Realität erscheint nicht stilisiert.” (p. 56) – Dazu sage ich nur: Obacht, Lama! Der Vergleich der Filme wird keinem von beiden gerecht.