Bleek, Kapitel V
Willi Schedlmayer | 7. Mai 2011Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
V. Freiheit, Kontingenz und christliche Ikonografie
Ein besonders schwaches Kapitel – die Worthülsen klappern gar schrecklich: Freiheit, Kontingenz (noch schlimmer: Ahnung von Kontingenz), Vorschein des Göttlichen, Malicks Welterfahrung …
1. Natur- und Landschaftsdarstellungen in Badlands
Durch die filmische Darstellung der Landschaft wird in Badlands eine Ahnung von Kontingenz vermittelt, meint Bleek, und: „Der Beziehungslosigkeit der Figuren im Raum entspricht eine Beziehungslosigkeit zwischen ihnen.“ (p. 65)
Bleek verweist darauf, dass die „Badlands“ im Film „nicht an Originalschauplätzen gedreht“ wurden (also wohl den Badlands in Montana), sondern in Colorado und South Dakota (in Anmerkung 55, p. 64), unterschlägt aber, wem sie ihre Weisheit schuldet:
Tony Reeves (Hrg.): The Worldwide Guide to Movie Locations. London, 2001 (Titan Books).
Ebenso unterschlägt sie, dass es zur Landschaftsdarstellung in Badlands ja bereits Literatur gibt, ich verweise darum auf einen Aufsatz von Ben McCann:
Ben McCann: ’Enjoying the Scenery’: Landscape and the Fetishisation of Nature in Badlands and Days of Heaven. In:Hannah Patterson (Hrg.): The Cinema of Terrence Malick: Poetic Visions of America. London, 2003, (Wallflower Press), p. 75-85.
Im dritten Teil ihrer Dissertation kommt Bleek noch einmal auf das Thema zurück, dem sie hier sogar ein größeres Kapitel widmet:
3. Natur und Welt in Malicks Filmen (p. 173 ff.)
Sie versucht hier, sich Malick von der Terminologie Heideggers her zu nähern: „Physis“, „Modus der Erde“, das „Erdhafte“ .. aber was herauskommt sind doch wieder Bleek-Sätze:
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle zum Film Badlands sagen: Das Besondere ist die Betonung von Natur und Landschaften. (p. 178)
Hier noch meine Notizen zum Thema:
Das Naturhafte spielt in Badlands gleich zu Beginn herein ins (Vor-)Städtische: als Insektengesumm und Vogellaut – und in der Weite der Landschaften der Great Plains (im letzten Drittel des Films) ist häufig ein Bezug da zum Zivilisatorischen der „Großstadt“ oder der Zivilisation (als Stomleitung, Pipeline, Raffinerie, vorbei fahrender Zug – oder auch nur Tankstelle etc.).
Zunächst treffen unsere Protagonisten im Bereich des mittelständischen Vorgartens aufeinander, im Nahbereich eines Baumes – es ist ein Mini-Eden. In einem anderen Garten (hinter dem Haus des „Reichen Mannes“) wird Holly später ihrer Isolation gewahr.
Hier schon bemerken wir, dass Umgebung für beide Figuren etwas bedeuten kann, oder vor allem für eine.
Wenn Holly mit Kit unter einem Baum sitzt und Karten spielt, ist sie es, die bemerkt, dass der Ort seine Schönheit hat – er hebt kaum den Blick, sie aber möchte die Blumen bewahren .. in seiner Beiläufigkeit noch ein symbolisch aufgeladener Diskurs der Jungfrau, die hier ihren locus amoenus findet. Dieser Ort ist die erste Gelegenheit für eine Figur, das Ästhetische der Umgebung zu verbalisieren.
Unter einem Baum hat dann das Paar seinen ersten (und vielleicht einzigen) Sex – auch wenn es nicht besonders war, wie wir zu verstehen glauben.
Von hier sieht man im Hintergrund eine Brücke – und genau von dieser wirft, verpackt in eine Plane, der Vater Hollys den Hund, den er erschossen hat, weil seine Tochter sich seinem Verbot widersetzt hat. Der Hund wird getötet in einer Wiese – und ihren kranken Fisch wirft Holly direkt in ein Melonenbeet hinter dem Haus. Tiertod im Pflanzenwachstum gleichsam – und Wasserbestattung.
Ein höchst eigenartiger Fluchtraum ist die Landschaft des Flusswaldes, erste Station für das Paar nach der Ermordung von Hollys Vater. Sie bauen sich hier mit steinzeitlichem Werkzeug ein Baumhaus – und lösen damit literarische Muster ein (Die Höhlenkinder, Der Schweizerische Robinson). Das Haus ist ein Ersatz für den Raum, den ihnen der Vater nicht gegeben hat – und funktioniert zugleich wie eine Falle für ihre Verfolger, die auch bald zur Stelle sind. Die Naturwahrnehmung und Naturbegeisterung Hollys wird nicht unironisch gezeigt durch Überbetonung des pittoresken Details und des deplatzierten Tieres (ein Lama in South Dakota).
Bei Cato ist man auf dem Lande und isst unter freiem Himmel – aber was idyllisch sein könnte, ist in eine „tödliche“ Spannung eingebettet (nach der Ermordung der Kopfgeldjäger wird nun auch Cato angeschossen und stirbt – ob auch das junge Paar, auf das Kit schießt, tot ist, erfahren wir nicht). Das „gemeinsame“ Zurücklaufen des Paares zum Haus (bei heraufziehendem Gewitter) ist deutliches Bild für die Schieflage ihrer Beziehung: Kit will ihre Hand nehmen – aber sie übersieht seine Geste – und so laufen sie nicht Hand in Hand, sondern jeder für sich.
Der Garten des Reichen Mannes ist ein Zeichen mehr seines Wohlstandes und wird zum Ort des Innehaltens für Holly. Stärker als sonst je ist sie hier „für sich“ – und zugleich abgetrennt von der Welt.
In den Great Plains spielt sich das letzte Drittel des Films ab. Ausdrücklich fordert Kit seine Freundin auf: „enjoy the scene“ – und sie tut es auch. Im Script heißt die Umgebung immer wieder „Badlands“, was auch seine Richtigkeit haben mag, weil sie für die Landwirtschaft untauglich ist – aber die schon in der Exposition genannten Badlands von Montana sind es nicht – zu ihnen kommt das Paar nie. Holly hat oft eine Karte zur Hand und erklärt auch manchmal die Gegend – aber die topographischen Hinweise zeigen vor allem, dass sie sich nicht zurechtfindet. Auch Kit hofft allzu vage in einem Jenseits der Grenze und einem Norden den möglichen Ort einer Zuflucht (und glaubt tatsächlich, bei den „Mounties“, also der kanadischen berittenen Polizei, einen Job zu finden). Lächerlich ist auch die Zielrichtung auf die „mountains of Saskatchewan“, denn Saskatchewan ist ja die fast berglose kanadische Prairie. Auch wenn Holly zugleich die Lichter von Cheyenne und die Fackeln der Raffinerien von Missoula zu sehen vermeint (beide Ort liegen an die 1000 km auseinander) oder Cheyenne mit knapp 40000 Einwohnern um 1960 für die größte Stadt hält, die sie je gesehen hat (obwohl Rapid City in South Dakota zumindest ebenso groß ist), zeigt das eher den Bildungsstand der Schülerin an als sonst etwas. Die sogenannten Badlands werden so zum Ort der Isolierung von der Zivilisation, zum Fluchtraum mit einem wünschbaren Jenseits: den Bergen, die langsam näher kommen, ohne dass unser Paar dort ankommen wird. Die „Badlands“ sind unwirtlich – und Holly leidet auch darunter (dass man sie einmal wirklich auch hier mit Lockenwicklern sieht, gehört auf die ironische Seite), aber Kit scheint sich wohl zu fühlen und auch zurecht zu kommen. Er rammt mit dem Auto eine Kuh (erzählt Holly) – und dann braten sie Fleisch. Er zapft lecke Pipelines an und gewinnt so Treibstoff – oder sie essen einfach wie das Rindvieh „Salzgraß“, das hier wächst. Woher ganz einfach das Wasser kommt, erfahren wir nicht. Ihr Ausgesetztsein hat zwei besonders dichte Momente: den Mondaufgang in den Plains – und den nächtlichen Tanz im Scheinwerferlicht des Cadillacs (zum Song von Nat King Cole). Die Sequenz mit dem Mondaufgang ist durch die Musikuntermalung (Eric Satie) mit der Szene im Garten des Reichen Mannes in Beziehung gebracht, wo Holly sich von der Welt abgetrennt fühlt. Nun teilt sie sich Kit mit – zunächst ohne gehört zu werden: „We lived in utter loneliness, neither here nor there. Kit said that solitude was a better word, cause it meant more exactly what I wanted to say. Whatever the expression, I told him we couldn’t go on living this way.“ Es ist dick aufgetragene Bildästhetik, die wir zu sehen bekommen – und viele Kritiker sind beeindruckt von den Bildern der farbenprächtigen amerikanischen Weite, in der auf wundersame Weise sich mancherlei Getier zum Fotoshooting eingefunden hat (ausgestopft oder nicht). In der Ferne lichtert ein Blitz durch dramatische Wolken, der Vollmond geht auf – es ist alles auf dem Punkt. Aber was ist all das? Es ist „loneliness“ oder „solitude“ – es ist .. der locus terribilis .. Gegenort zum locus amoenus, wo so lieblich die Blumen blühten. Es ist für Holly letztlich ein schrecklicher Ort – für Kit aber ein Ort des Innehaltens (was er ästhetisch wahrnehmen kann, erfahren wir nicht) – und für uns ein schrecklich schöner Ort. Mir ist die Walt-Disney-Qualität der Bilder (True Life Adventures – The Living Desert) – oder eben das Nachfotografieren von National Geographic nicht ganz geheuer. Aber hier kommt eben alles zusammen – die unerträgliche Schönheit der mythischen Bilder und das Auseinanderdriften der Figuren, das im nächtlichen Tanz (zu Radiomusik) noch einmal für kurze Zeit aufgehoben scheint.
2. Die christliche Ikonografie
„Die Einarbeitung christlicher Elemente in die Bilder“ wird sichtbar (p. 65) – ja, aber was fangen wir an mit den „christlichen Elementen“, die da vorkommen?
a. Gemälde
Während die rote Farbe des Sofas Assoziationen an das blutige Hemd ihres toten Vaters weckt, welches kurz zuvor zu sehen war, als Holly sich bestürzt zu ihm hinunterbeugte, erinnert das Deckchen in Farbe und Form an die Lilien des Engels. (p. 66)
Was hier wie die Schwundstufe einer Bildbetrachtung aussieht (rot assoziiert zu Blut, ein Deckchen zu einer Lilie), führt zu einem allgemeinen Problem in der Interpretation des Werks von Malick: Es spricht tatsächlich durch eine Vielfalt an Ähnlichkeiten, struktureller Muster, Anklänge an – ohne dass es sogleich in „Sinn“ überzuführen ist. Das heißt, es gibt ein Überangebot an „Struktur“ .. und es ist ja auch schon was, wenn man dieses Überangebot beschreibt.
b. Kleidung
Als Kit und Holly das Haus des Reichen Mannes verlassen, „verkleiden“ sich beide, ohne dass das weiter erklärt wird. Holly trägt ein Tuch auf dem Kopf, das auf die Schultern herunterhängt – sieht tatsächlich marienhaft aus. Kit aber hat sich einen Hut und eine Jacke vom Reichen Mann „geborgt“ und trägt zunächst beides, den Hut noch (bzw. wieder) als er festgenommen wird. Sein Hut ist mindestens ebenso signifikant, wie Hollys Kopfbedeckung – aber die Konzentration auf „christliche Ikonografie“ verstellt Bleek den Blick darauf.
c. Bilder des Himmels
Sehr ausführlich, fast schon „wissenschaftlich“, wie hier „systematisiert“ wird!
Einführung des Motivs
Was hat es mit dem „Rekurs auf das Motiv des Himmels“ auf sich?
Er funktioniert auf zwei Ebenen: einmal als eine Art Gefühlsbild, welches das Innere der Figuren ins Äußere spiegelt, dann als Vorschein des Göttlichen im Endlichen. (p. 68)
Ich finde, man braucht solche Sätze nicht mehr zu kommentieren – sie sprechen für sich. Und man muss das nicht lächerlich finden, auch wenn das beim „Vorschein des Göttlichen im Endlichen“ naheliegend ist. Es ist nicht lächerlich, Bleek meint es einfach so.
Einsatz des Himmels als spiegelndes Gefühlsbild
Dieser Typus von Himmelsbildern dient weniger der Darstellung von Gefühlen der Figuren als einer Stellungnahme des Films zu diesen Gefühlen. (p. 69)
Steht das auch schon so bei Delius? (Vgl. F.C. Delius: Der Held und sein Wetter. Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bürgerlichen Realismus. 178 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 1971)
Ich glaube, Bleek ist doch eine Finesse gelungen, die über den guten alten Delius hinausgeht!
Einsatz des Himmels und die Idee der Transzendenz
Wenn Kit das Gewehr auf seine Schultern quergelegt hat und die Arme darüber hängt, ist das klarerweise vor allem ein Bildzitat mit Verweis auf James Dean und den Film Giants. Darüber hinaus sieht Kit hier einer Vogelscheuche ziemlich ähnlich – vor allem von hinten. Wenn man hier schon an „Kreuzigung“ und „Christologisches“ denken will, sollte man unterscheiden, dass nicht Jesus, sondern die Schächer so gekreuzigt dargestellt werden (mit den Ellbogen an den Balken gebunden).
Das Motiv des Himmels und die Verwendung von Musik
Verweis auf die Musik, die eingespielt wird, wenn Holly sich ergibt und mit dem Hubschrauber weggebracht wird: „Mariae Geburt“ von Carl Orff (aus dem Schulwerk?)