Bleek, Kapitel II
Willi Schedlmayer | 7. Mai 2011Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick. Wilhelm Fink Verlag, 2009, 232 Seiten inkl. 32 Seiten Farbtafeln, Kart., EUR 34.90 / CHF 47.90. ISBN: 978-3-7705-4788-3
Erster Teil: Konvention und Kontingenz in Badlands (p. 13-79)
Hier nun zum zweiten Kapitel:
II. Modelle aus der Genretradition: „Paar auf der Flucht“ (p. 25-38)
Wie funktioniert eigentlich eine Genretradition? Ein komplexes Thema, ziemlich anspruchsvoll. Wer über Genre oder Genrezugehörigkeit redet, muss ein Ensemble von Werken überblicken, am besten gleich noch in Hinblick auf seine Rezeption, und jeweils auch das eine in Frage stehende Werk formal und inhaltlich begreifen, es verstehen und interpretieren. Es geht nicht so sehr darum, ein Werk irgendwo einzuordnen, sondern um ein Erfassen der vielfältigen und wechselseitigen Beziehungen zwischen Einzelwerken.
Genrefilme zeichnen sich bekanntlich durch Wiederholung und Variation bewährter Figuren- und Handlungsmuster aus. (p. 25)
So weit so gut.
1. Bestimmung des Genres von Badlands
Hier beginnen die Schwierigkeiten – denn offensichtlich ist dieser Film nicht einem einzigen Genre zuzuordnen, weder dem Road-Movie, noch dem Western, noch dem Gangster-Film, aber er gehört auch einem Sub-Genre an:
2. Subgenre des Gangsterfilms: „Paar auf der Flucht“
Vier Filme werden analysiert, “in denen sich die Genrekonventionen am klarsten zeigen” (p. 26).
a. Fritz Lang, You only live twice (USA 1936/37)
Das filmische Bild löst sich in der Dramatik des Plots förmlich auf. Der Zuschauer taucht ganz in die Narration des Films ein. (p. 28)
Es scheint mir bedenklich, wie Bleek Langs Film als Beispiel des “amerikanischen Illusionskinos” abstempelt und Malick davon abheben will.
b. Nicolas Ray, They live by Night (USA 1948/49)
Die Bilder fügen sich bis zum Showdown am Ende der Losung des amerikanischen Illusionskinos, nach der sich Verbrechen für die Täter nicht lohnen dürfen. (p. 30)
Die Losung als Illusion – ein Osterhasen-Trauma. Und es ist keine amerikanische Illusion allein, dass Verbrechen sich für die Täter nicht lohnen darf. Aber wie gesagt: die Meisterwerke des Film Noir unter Illusionskino zu summieren hilft bei Genre-Überlegungen nicht wirklich weiter.
c. Joseph H. Lewis, Gun Crazy (USA 1950)
Trotz der Verschiebung der narrativen Gewichtung in Gun Crazy folgt die Entfaltung des Dramas auch hier den Konventionen des klassischen Illusionskinos. (p. 30)
Haben wir etwas anderes erwartet? Dennoch mag man bald nicht mehr glauben, wie sich die Einfalt wiederholt:
Ohne über die filmische Qualität der Filme im Einzelnen zu urteilen, kann man sagen: Ihre Bilder fügen sich den Vorgaben des klassischen amerikanischen Illusionskinos, dessen Konventionen sie verpflichtet sind. (p. 31)
Wer eine andere Sicht gewinnen will, braucht sich nur die Filme anzusehen – oder einen Blick in die Literatur zu tun. Ich zitiere hier eine kleine präzis-enthusiastische Arbeit von Arturo Silva zu Gun Crazy:
A young couple on the run seems to create its own aesthetic, and in this case, the story of Bart and Laurie is no ordinary narrative, more rather a succession of insistent images, pure intensities – performances, looks, dialogs, and clinches. Bart and Laurie create their world, and they explode it in a death coda fittingly set in a savage and poetic landscape. (Arturo Silva: Gun Crazy: Cinematic Amour Fou. In: Film Criticism, Vol XXXIII, No 1, Fall 2008, p. 1-19, hier p. 2)
3. Arthur Penns Bonny and Clyde (USA 1967) und Badlands
Malick kannte den Film von Arthur Penn als er sich an Badlands machte, schon darum kommt diesem Werk ein besonderer Stellenwert zu.
Bleek vergleicht einzelne Szenen – und übersieht eine wesentliche Entsprechung.
Zuerst bezieht sie sich auf die Szene, in der Clyde Bonny seine Waffe zeigt und diese den Revolver und seinen Lauf befingert – man versteht sofort die erotische Komponente dessen, was man sieht.
Die Gefühle der Protagonisten werden nicht nur auf einer narrativen Ebene vermittelt, sondern es wird hierfür auch eine entsprechende visuelle Grammatik gefunden, die den Zuschauer in Identifikationsprozesse hineinzieht. (p. 33)
Wieder einmal scheint mir Bleek auf der falschen Fährte zu sein. Es geht hier vorrangig nicht um Identifikation, eher um Desillusionierung. Die Begegnung von Bonny und Clyde ist von vornherein (auch durch die Szene oben) erotisch aufgeladen. Wir verstehen aber erst im Lauf des Films, was erotische Symbolik und Sublimation für die Figuren bedeuten, schließlich wird Clyde ja als schwer gehemmter Typ vorgestellt, der die Verführung von Bonny abwehrt und erst kurz vor dem Ende des Films (und seines Lebens) Sex mit ihr hat. Diese Szene, bzw. eben das Gespräch “danach”, unterschlägt uns Bleek aber – obwohl Malick, wie sich zeigen wird, direkt Bezug darauf nimmt.
Die Szene in Bonny and Clyde (schon gegen Ende des des Films) beginnt mit einer Einstellung auf das Gesicht von Bonny, die im Gras liegt. Clyde knöpft sich gerade sein Hemd zu, wir verstehen, es ist “danach”. Er fragt Bonny: “Hey, .. how do you feel? I mean, do you feel the way you’re supposed to feel” – er ist unsicher, wird von ihr aber beruhigt. Ohne die Szene weiter zu analysieren kann festgehalten werden, dass sie für das Verständnis der Figur Clyde von zentraler Bedeutung ist – er wird hier gleichsam “erlöst”. Die entsprechende Szene in Badlands hat eine ganz andere Funktion, ist aber unübersehbar (und wortwörtlich) in Bezug gesetzt zur Stelle im Film von Penn.
“Did it go the way it ‘uz supposed to?” – in Badlands ist es Holly die fragt – aber wie im Film von Penn ist es unmittelbar “danach”. Es sind nicht nur die Rollen verkehrt, auch die Bedeutung ist verschoben. Zwar bejaht Kit, aber Holly hakt nach: “Is that all there is to it?” Diese Fragerei ist offenbar unbehaglich für Kit und bringt auch für uns zum Ausdruck, dass die sexuelle Begegnung für Holly unbefriedigend war. Sie fügt dann noch an: “Well. I’m glad it’s over…”. Der direkte Bezug Malicks zu Bonny and Clyde ist offensichtlich, was dort aber “Erlösung” ist, bleibt hier ein Mangel. Wir können uns fragen, ob der Verweis auf Bonny and Clyde uns nicht subtil ein besseres Verständnis der Tiefendimension von Badlands vermittelt. Wir sehen hier, wie dem Paar vom Vater des Mädchens (der jungen Frau) die Beziehung untersagt wird. Wenn wir nun annehmen, dass den beiden eine befriedigende Sexualität nicht gelingen will, würde ein Weiteres deutlich. Nicht nur lässt die Gesellschaft (vermittelt über das Verbot des Vaters) den Subjekten keine freie Entfaltung ihres Begehrens, auch die Leiber selber sind als Ort der Lustentfaltung und Empfindung bereits gestört (und die Frage nach “supposed to” bringt sowohl gesellschaftliche als auch die Erwartungen des Partners herein). In Bonny and Clyde findet der Protagonist zum Sex und zur liebevollen Bestätigung durch seine Partnerin – danach will er sie heiraten, das ist nicht ohne Ironie. Im Film ist für die Figuren aber freilich keine soziale Integration, sondern nur mehr der Tod durch die Exekutive vorgesehen (und auch historisch verbürgt). Penn zeigt das Elend der Zeit (die frühen Dreißiger-Jahre) aus dem die Figuren einen Ausweg suchen – und mit Clyde zugleich ein gehemmtes Subjekt, das sich auch darum produziert, weil es nicht genießen kann – und dann, als es genießen kann, kein Leben mehr vor sich hat.
Malick thematisiert eine restriktive Gesellschaft, in der die Subjekte bis in die Leiblickeit hinein gestört sind – die Gewalt und zugleich die erstaunliche Empfindungslosigkeit der Figuren gegenüber dem Leid, das sie zufügen, können auch als Entsprechung dieser Verhältnisse gelesen werden.
Bleek vergleicht auch die entsprechenden Szenen “der zentralen Gewalttat” in beiden Filmen.
Zunächst ein Bankraub in Bonny and Clyde:
Als sie endliche loskommen, gelingt es einem Bankangestellten, hinten auf den Wagen aufzuspringen. (p.34)
Stimmt nicht, er springt nicht hinten auf, sondern steigt auf das seitliche Trittbrett und wird durch ein Seitenfenster (in einer spektakulären Einstellung) erschossen. Abgesehen von dieser Ungenauigkeit, überzeugt auch die Interpretation dieser Szene durch Bleek nicht (Clyde schießt “intuitiv, weil der Bankangestellte ein eindeutiger Gegenspieler ist” – p. 35).
Mir geht es hier aber vor allem um Badlands – die Ermordung von Hollys Vater, der entsprechenden Szene in Malicks Film, unterscheidet sich tatsächlich erheblich von der brutalen Szene in Bonny and Clyde. Das Sterben des Vaters ist merkwürdig unblutig (obwohl er von zwei Schüssen verletzt ist) und hat fast etwas Friedliches! Sehr genau beschreibt Bleek die Einstellungen – und doch geht sie am Zusammenhang vorbei.
Ich will hier einen Aspekt herausheben, den Bleek vernachlässigt: Autorität. Hollys Vater beansprucht sie – der Tochter gegenüber. Als sie sich wiedersetzt (sich heimlich mit Kit trifft), straft er sie, indem er ihren geliebten Hund erschießt und setzt “pädagogische” Maßnahmen (Musikstunden). Dennoch geht Kit zu ihm – es ist die Szene vor dem Einbruch in sein Haus. Der Vater ist bei seiner Arbeit, erhöht auf einem Gerüst, und malt. Kit ist zu ihm herausgefahren (die Szene spielt sich ein freier Landschaft ab, in die offenbar eine Werbetafel gestellt werden soll). Er nähert sich dem Vater seiner Fraundin – bleibt aber immer unten (auf dem Boden). Der Vater ist von vornherein ablehnend. Kit beruft sich darauf, dass es nicht verboten sei, hierher zu kommen (es gibt ein Gesetz jenseits des Vaters). Er fragt den Vater, ob er was dagegen hat, dass er sich an sein Auto lehnt – die Antwort bleibt aber aus. Auch dass er seinen Respekt für Holly bezeugt, hilft nicht weiter – er wird vom Vater verwiesen (er will ihn nicht mehr sehen). Es ist die ultimative Ablehnung für Kit, eine Zuspitzung von Misserfolgen, die sich seit Filmbeginn aneinanderreihen. Immer wieder blitzt er ab und er verliert seine Arbeit – immer wieder zeigt er aber auch Gesten der Rebellion: so schmeißt er die Arbeit hin und als er die Kündigung erhält, wirft er seine Schlüssel in ein Ölfass – sein Ex-Boss wirft dann einen Apfel nach ihm, der ihn tifft. Als Kit sich umdreht (worin eine gewisse Drohung mitschwingt), weist er auf seinen Hund hin, der ihm Schutz ist.
Die eigentliche Rebellion wird im Film dann elliptisch ausgespart. Nach der Ablehnung durch den Vater plant Kit, wie sich bald zeigt, mit Holly zu fliehen. Deutlich wird auch, dass er diesen Plan gefasst hat, ohne Holly zu fragen. Er trifft jetzt die Entscheidungen – auch für Holly. Er will die Autorität. Und er wird sie durchsetzen – mit der Waffe. Erzählt wird nicht die innere Wandlung von Abhängigkeit und Untertänigkeit zum Herrschaftsanspruch, sondern nur die Konflikte, die sich dann daraus ergeben. Kit dringt in das Haus von Holly ein und packt ihren Koffer. Dabei wird er vom Vater überrascht. Er zeigt ihm, dass er eine Waffe hat – der Vater, der ihn zunächst nur aus dem Haus weisen will, droht jetzt mit dem Gesetz (“I’m turning you over to the authorities”) – Kit behauptet seine neue Position: “I can’t allow it”. Er beansprucht jetzt Autorität. Wollte der Vater ihn aus dem Haus, will Kit ihn nun nicht weg lassen. Der Vater geht hinunter, auf der Treppe hoch über ihm stehend, gibt Kit einen Warnschuss ab, als der Vater sich nicht aufhalten lassen will, eilt Kit ihm nach und streckt ihn mit zwei Schüssen zu Boden.
III. Bild und Ton in Badlands: Die Schaffung einer Kunstwelt (p. 39-57)