Philipp Theisohn: Plagiat XII
Willi Schedlmayer | 14. März 2011Philipp Theisohn: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte.
Stuttgart: Kröner, 2009. Leinen, 577 Seiten.
Philipp Theisohn, geboren 1974, Oberassistent an der ETH Zürich.
Kapitel XII. Geschichten aus der Produktion – p. 425 ff.
Paul Zech ist der Superdelinquent: vor dem ersten Weltkrieg noch geachteter expressionistischer Lyriker – Mitte der 20er Jahre aber wird er mehrfach des literarischen Plagiats überführt (und des Bücherdiebstahls? Hat er darum 1933 seine Stelle als Bibliothekar verloren? Oder wurde das einfach nur behauptet: wer geistigen Diebstahl begangen hat, dem traut man auch das Stehlen von Büchern zu .. und den Nazis war er wohl ohnehin unbequem). Stefan Zweig rät ihm, geistige Verwirrung als mildernden Grund einzubringen! Kraus gilt er als „Träger eines Sammelnamens, unter dem schon alles Mögliche und vieles Wertvolle erschienen ist“ (Die Fackel Nr. 800-805). Zech als Kleptomane steht einzigartig da.
Jakob Wassermann wird von einer Wiener Germanistin in Angriff genommen: Marianne Thalmann. Wie zuvor schon Arpad Steiner an einem Werk, weist sie Wassermann nun für einen Roman nach dem anderen mangelnde Eigenständigkeit im Verhältnis zu seinem Quellenmaterial nach (und kann so ihre Frage nach der „Sauberkeit der künstlerischen Person“ stellen).
Theisohn verweist auf Thomas Mann und das Prinzip der Materialarbeit – für seine Betrachtungen eines Unpolitischen genauso wie für den Zauberberg und Doktor Faustus hat er mancherlei mehr oder weniger abgeschrieben – über den Verdacht des Plagiarismus ist er dennoch erhaben (Plagiat, p. 438)
Und eher nebenbei erfahren wir noch, wie die Integration von vorgefundenem Material die modernen Kunstverfahren der Avantgarden (sic!) ausmacht (Collage, Surrealismus, der Name Benjamin darf auch nicht fehlen .. ja, ja, die technische Reproduzierbarkeit) – (Plagiat, p. 436 ff.)
Gschmackiger wirds dann bei der Diskussion um Brecht. Alfred Kerr nörgelt in Berlin, Karl Kraus wettert in Wien dagegen – und Brecht feiert Erfolge. Es geht um die Dreigroschenoper – Brecht hat sich einer Villon-Übersetzung bedient, ohne sie zu nennen .. aber es war nicht die von Zech, sondern die von K.L. Ammer (wie schön würden sich sonst die Plagiatoren die Hände zum Tanz reichen). Von Kerr bereits stammt der Vorwurf, nicht Brecht selber schreibe seine Stücke, sondern „die Firma“ (vor allem die Mitarbeiterinnen) – John Fuegi rekonstruiert gar einen „perpetual cycle of sex for text and vice versa“. Hier geht es nicht allein um plagiatorische Techniken, sondern um parasitäre Textproduktion, ein Sinnzusammenhang, der Theisohn deutlich überfordert.
Fuegi, John. 1994. “The Zelda Syndrome: Brecht and Elizabeth Hauptmann”. In Thomson and Sacks (1994, 104–116).
Fuegi, John. 2002. Brecht and Company: Sex, Politics, and the Making of the Modern Drama. New York: Grove. ISBN 0-8021-3910-8.
John Fuegi, Brecht & Co., Biographie, autorisierte erweiterte und berichtigte deutsche Fassung von Sebastian Wohlfeil, Hamburg EVA, 1979.